Suzana Bartal - Années de pèlerinage (Gesamtaufnahme)

Liszt: Années de pèlerinage (Gesamteinspielung)
Suzana Bartal, Piano
Naïve V 7082 (© 2019) | Suzana Bartal | Naïve (Preview & Download)



bartal annees compl cover awardedFranz Liszts 26-teiliger Zyklus Années de pèlerinage – Wanderjahre – ist einer der zentralen Werkzyklen der musikalischen Romantik und zugleich mehr als das. Er spiegelt die musikalische und persönliche Entwicklung des Komponisten über Jahrzehnte und ist dabei doch auch ein Zeugnis der Konsequenz künstlerischen Schaffens und der Treue zu den eigenen Kunstidealen und Voraussetzungen.

Die Idee, die den Anstoß zu der Gesamtaufnahme von Suzana Bartal bildete, ist in dieser Hinsicht bemerkenswert: Der Leiter der Académie de Sainte-Anne d’Auray, Bruno Belliot, plante die Aufführung des gesamten Zyklus innerhalb eines Tages in verschiedenen Kirchen des Départements Morbihan (Brétagne), wobei die jeweiligen Kirchen den historischen und akustischen Rahmen der Programmteile bilden sollten. 2016 war es Suzana Bartal, die sich auf dieses »Reise«-Projekt einließ, den Zyklus studierte und 2018 auf einem mitreisenden Flügel in dieser Form zur Aufführung brachte; ein Abenteuer, das auch Liszt selbst sicherlich gefallen haben dürfte.

Dazu Susana Bartal im Beiheft zur Einspielung: »Ich war mit der Schönheit der Années de pèlerinage schon [zuvor] vertraut, aber während der eingehenden Beschäftigung mit ihnen und indem ich sie mir zu eigen machte, habe ich mich unsterblich in sie verliebt. [...] Deshalb war es mir ein Anliegen, mit dieser Aufnahme den Hörer auf eine Reise durch diese unglaubliche poetische Vielfalt mitzunehmen, dem Charakter eines jeden Stückes eine starke Identität zu geben, um spezifische Welten zu erschaffen - ohne jedoch die Einheit der einzelnen Bände aufzugeben.«

Poesie und poetische Vielfalt sind denn auch die zentralen Elemente in Bartals Spiel. Sie gibt den musikalischen Gedanken, ihren Verbindungen und Entwicklungen viel Zeit und Raum und vermag allem eine schwebende Transparenz, Klarheit und Leichtigkeit zu verleihen, die man - etwa bei Stücken wie Orage, Vallée d'Obermann und der Dante-Fantasie - von kaum einer anderen Interpretation gewohnt ist. Da wird nichts heruntergedonnert; vielmehr singt Bartal und trägt vor, wie man einander Gedichte vorträgt, falsches Pathos und Effekthascherei vermeidend. Geradezu verblüffend erscheint ihr lyrischer Optimismus im dritten Jahr: Zwar sunt lacrymae rerum: Doch Seufzer, Schatten, Trauer, Tränen verleiten Bartal nie zu Gefühlsdarstellerei; eher ist ihr eine konzentrierte Beobachtung und differenzierte, wenngleich empathische Schilderung eigen. Eine gewisse Distanz zum geschilderten Gegenstand nimmt sie dabei zwar in Kauf, bleibt aber ihrem logisch-poetischen Entwicklungsgedanken treu. Sie will den Hörer offenbar überzeugen, nicht überwältigen. Dazu Bartal:

»Sobald man sich die Details seines [i.e. Liszts] Schreibens anschaut, ist es beeindruckend, ja verblüffend: Es gibt eine Logik in allem. [...] Ich wollte diese Kombination aus Inspiration und technischer Brillanz vermitteln, um den poetischen Aspekt dieser Stücke hervorzuheben. Die spektakuläre Virtuosität verdeckt nie die Sensibilität, die sie ausstrahlen.«

Suzana Bartal verfügt über außerordentliche technische Fähigkeiten und über ein großes, fein differenziertes Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten; mit diesem Zyklus beweist sie, dass sie ihre künstlerischen Vorstellungen auch auf die große Form übertragen kann - manchmal vielleicht etwas zu kontrolliert. (Liszts Musik hält es aus, wenn der Interpret sich einmal hinreißen lässt, vielleicht verlangt sie es auch gelegentlich.)

Noch einmal Suzana Bartal: »Ich fühle mich nach diesem Abenteuer ziemlich verwandelt und sehe die Projektion von Klang im Raum anders. Der Zyklus hat mich beflügelt und beflügelt mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich ihn wieder spiele. Die Années de Pèlerinage ziehen sich wie ein roter Faden durch mein Leben als Musiker. Sie sind jetzt Teil meiner musikalischen DNA.«

Als Hörer können wir uns nur wünschen, dass Suzana Bartal sich immer wieder mit den Années de pèlerinage auseinandersetzen wird und auf diese Weise einen Entwicklungsprozess reflektiert, wie ihn ja auch die Entstehung des Zyklus gekennzeichnet hat. Wer weiß, wohin Bartals Flügel sie dann noch tragen werden, nachdem sie bereits mit dieser Einspielung in so großartiger Weise überzeugt hat.

Nicht unerwähnt bleiben darf schließlich auch ihre Arbeit am Klanglichen: Ein ausgezeichnet gewähltes, bestens intoniertes Instrument, gepaart mit tonmeisterlicher Raffinesse haben auch hier nichts dem Zufall überlassen und machen das Hören von Suzana Bartals Interpretation vollends zu einem Erlebnis.

MS

Links: 
Suzana Bartal auf Youtube.
Suzana Bartal bei Naïve.
Suzana Bartal im Interview mit der Zeitschrift Orchestergraben.

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