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Gerald Finley, Julius Drake - Liszt: The Complete Songs Volume 3

Hyperion CDA67956 (2015)

© Hyperion Records

Der 3. Band der beim britischen Label Hyperion erscheinenden und von Leslie Howard betreuten Reihe der sämtlichen Lieder Franz Liszts wird neben dem gesetzten Pianisten Julius Drake von dem kanadischen Bassbariton Gerald Finley gestaltet.

Eine nicht nur vielfach erprobte, sondern auch glückliche und hier fast symbiotisch erscheinende Verbindung, wie die vorliegenden 15 Titel beweisen, die einen Lisztschen Schaffens- und Bearbeitungszeitraum von rund 50 Jahren übergreifen. Unter den bekannteren Liedern die drei Petrarca-Sonette (Searle 270 2. Fassung 1864), drei Heine-Vertonungen (Searle 290, dritte Fassung, 309, 2. Fassung, 311, 4. Fassung), zwei Lieder auf Texte Victor Hugos (Searle 286 und 285) sowie Lieder auf Texte von Goethe (Searle 297), Uhland (Searle 281) und Béranger (Searle 304). Seltener zu hören sind die Lieder Weimars Toten (Text Franz von Schober, Searle 303), das 1884 entstandene Und wir dachten der Toten (Freiligrath, Searle 338) sowie Die Fischerstochter (Coronini, Searle 325) und schließlich Go not, happy day (nach Alfred Lord Tennyson, Searle 335).

Tatsächlich enthält diese Aufnahme nicht bloß fünfzehn Lieder aus Liszts umfangreichem Liedschaffen. Finley und Drake gelingt es vielmehr, aus dieser Auswahl von fünfzehn Dramoletten, Balladen, Gedichten, Fragmenten und Miniaturen sehr unterschiedlicher literarischer Stile in vier Sprachen einen musikalisch-dramatischen Kosmos zu erschaffen, der den Hörer vom ersten bis zum letzten Takt fesselt. Wer Liszts Lieder, ja seine Musik noch nicht kennt, der wird hier in sein Laboratorium geführt und - staunt. Es ist das große Verdienst von Gerald Finley und Julius Drake, hier ein so bemerkenswertes, ja erstaunliches Aufführungsereignis geschaffen zu haben, dass man es - im Hinblick auf die Lisztsche Liedrezeption - fast in eine eigene Gattung einordnen möchte, so etwas wie 'literarisch-poetisches Groß-Kammermusiktheater'. Die Verbindung von Literatur und (Zukunfts-)Musik, wie Liszt sie suchte und mit der er zeitlebens experimentierte, sie ist in diesen Liedern zu finden, und Finley und Drake ist es in großartiger Weise gelungen, sie - fast körperlich - zum Leben zu erwecken. Das gelingt ihnen auch, weil sie sich auf die stilistischen Brüche, Risse und Sprünge Liszts, auf seine formalen und tonalen Experimente ganz einlassen und weil sie als gleichberechtigte und kongeniale Partner an diese Aufgabe gehen. Ihre langjährige, vielseitige Zusammenarbeit kommt ihnen dabei ebenso zugute wie ihr künstlerisches Vermögen - denn einfach lassen sich selbst die kargen späten Fragmente wie etwa Und wir dachten der Toten (Searle 338) nicht darstellen, geschweige denn der pianistisch und sängerisch anspruchsvollen Petrarca-Sonette oder der Hugo-Vertonungen (Searle 285 f.) beispielsweise.

Dankenswerterweise bringt die Hyperion-Serie Liszts Lieder auch in verschiedenen Fassungen, um so - ähnlich wie bei Leslie Howards Unternehmen der sämtlichen Klavierwerke beim gleichen Label - unterschiedliche Entwicklungsstadien widerzuspiegeln. Hier gibt es noch viel Spannendes selbst für den zu entdecken, der die Liedkompositionen Liszts schon in der einen oder anderen Fassung kennt, zumal dann, wenn sie mit so überragendem Können und so tiefem Verständnis dargeboten werden.

Zu hoffen bleibt, dass Gerald Finley und Julius Drake sich für dieses Unternehmen nicht zum letzten Mal zusamengefunden haben. Dass die Lieder Franz Liszts es verlohnen, haben Finley und Drake mit dieser Einspielung überaus eindrucksvoll und ein für alle Mal bewiesen – was übrigens auch für die beiden vorangegangenen Volumes mit Drake und den Sängern Matthew Polenzani und Angelika Kirchschlager gilt!

Michael Straeter