Praxedis Geneviève Hug - Franz Liszt: On Wings of Song. Piano transcriptions

Sony Music 88875069972 (2015)

© Sony Music (2015)

Die Schweizer Pianistin Praxedis Geneviève Hug legt mit ihrer ersten Einspielung für Sony Music gleich ein Album mit mehr als drei Stunden Liszt’scher Bearbeitungen und Transkriptionen vor, das es in sich hat. Das Album unter dem wohl in der Werbeabteilung ersonnenen Titel »On Wings of Song« enthält drei CDs; die erste unter der Überschrift »Piano Works inspired by Rossini«, die zweite, »Song Transcriptions« enthält dankenswerterweise meist weniger bekannte Liedbearbeitungen Liszts; die dritte CD versammelt »Wagner Transcriptions«, und zwar deren neun.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Hug findet zu jeder einzelnen Komposition einen so überzeugenden Zugang, dass die drei Stunden tatsächlich wie ›on wings‹ und wie im Fluge vergehen und, wieder gelandet, wünscht man sich sehr, Hug möge sich auch zukünftig den Werken Liszts ausführlich widmen.

Bereits Hugs Interpretation des Impromptu brillant sur des thèmes de Rossini et Spontini, Searle 150, (CD 1, Nr. 1) zeigt, wie natürlich und selbstverständlich ihr Dramaturgie und Rhetorik Lisztscher Virtuosenstücke sind. Das klingt (selbst-)sicher und mitunter tribunenhaft, Motive und Linien sind stets charakteristisch herausgearbeitet; dabei dramaturgisch, dynamisch und agogisch fein zusammengewebt. Das sonst so häufig bei Lisztinterpreten zu beklagende unverstandene Blend-, Füll- und Beiwerk gibt es bei Hug nirgends; nichts bleibt unbeachtet, leer oder widerspenstig, alles erhält einen Charakter, eine Funktion und fügt sich natürlich in den Kreis der Komposition.

Das gilt für die Sept variations brillantes sur un thème de Rossini, Searle 149, ebenso wie für die leuchtend-virtuosen Charakterstücke der Soirées musicales de Rossini, Searle 424, die die erste CD beschließen.

Auf CD 2 mit Liedtranskriptionen von - sieht man von Schumann und Liszt selbst ab - weniger bekannten Urhebern setzt Hug uns erneut in Erstaunen mit ihrer Fähigkeit, jedes Lied in eine eigene Miniatur, ein eigenes poetisches Kleinod zu verwandeln und dabei eine Vielzahl an Formen und Stilen wie selbstverständlich nebeneinander zu beherrschen - von der Innerlichkeit eines Schumann (Provenzalisches Minnelied, Searle 570, An den Sonnenschein und Rotes Röslein, Searle 567), der folkloristischen Exotik eines Festetics (Spanisches Ständchen, Searle 487) und Krov (Hussitenlied, Searle 234), der ›romantisch‹-balladesken Melancholie eines Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha (Die Gräberinsel der Fürsten zu Gotha, Searle 485b) oder Otto Lessmann (Drei Lieder nach Wolffs Epos ›Tannhäuser‹ Searle 498) bis hin zu den augenzwinkernd-parodistisch anmutenden Liedern Joseph Dessauers (Dessauers Lieder, Searle 485).

Die Texte aus Liszts Vorlagen liefert dankenswerterweise das Beiheft. Liszts Canzone napolitana (Searle 248) und Lyubila Ya (Romanze nach Wielhorsky, Searle 577) runden das Programm der zweiten CD.

CD 3 enthält neun Wagner-Transkriptionen Liszts - oder genauer: acht Transkriptionen und Liszts Opernfantasie über ›Rienzi‹ (Phantasiestück über Motive aus ›Rienzi‹, Searle 439). 

Wie sicher Praxedis Geneviève Hug hier den Grat zwischen Wagnerschem Apparat und Pathos und Liszts pianistischer Reflexion und Andacht wandelt, über welche Ausdrucksmittel sie dabei verfügt, mit welcher Konsequenz sie sie in den Dienst des Interpretation stellt: das alles ist fesselnd, beeindruckend - doch ohne je Eindruck zu schinden - und vermittelt auch dem erfahrenen Hörer manch neue Einsicht (z. B. Ballade aus dem Fliegenden Holländer, Searle 441) oder zaubert ihm unwillkürlich ein Lächeln ins Gesicht (Spinnerlied aus dem Fliegenden Holländer, Searle 440).

Ganz sicher gehört Praxedis Geneviève Hug mit diesem Album in die Reihe der ganz großen Lisztinterpreten.

Michael Straeter