Körper und Technik beim virtuosen Klavierspiel Franz Liszts und sein Echo bei Heinrich Heine

Esther Schmitz-Gundlach: »Tönende Instrumentwerdung des Menschen«? - Das Verhältnis von Körper und Technik beim virtuosen Klavierspiel Franz Liszts und sein Echo bei Heinrich Heine. In: Heine-Jahrbuch 2022. Hg. v. Sabine Brenner-Wilczek. Berlin, Heidelberg: Springer, Imprint: J.B. Metzler 2023, S. 53-69.


(C) Esther Schmitz-Gundlach - Toenende Instrumentwerdung des MenschenIn seiner Pariser Publizistik betreibt Heinrich Heine (1797-1856) Musikkritik laut eigener Aussage als »Erfahrungswissenschaft». Das Klavierspiel der Virtuosen in der Hauptstadt der Moderne bezeichnet er 1843 in einem Artikel für die Allgemeine Zeitung als »tönende Instrumentwerdung des Menschen« und ironisiert expansives Moment ihrer Musik wie Drang der bürgerlichen Gesellschaft zum Klavier. Im Zusammenwirken von Körper und Technik zeigt sich das Klavierspiel als Messinstrument gesellschaftlichen Wandels: Heines Bild impliziert, dass nicht mehr der Mensch die Herrschaft über das Instrument ausübe, sondern umgekehrt der Mensch selbst zum Technischen werde. Dem literarischen Bild geht der Essay unter körpertechnischen, hirnphysiologischen, instrumentenbaulichen und musikästhetischen Gesichtspunkten am Beispiel Franz Liszts (1811-1886) nach.

In den Briefen eines Bakkalaureus der Tonkunst weist Liszt selbst 1837 dem Klavier das Primat unter den Instrumenten zu. Auch wird dort deutlich, dass sein von Heine verschiedentlich musikfeuilletonistisch thematisiertes Spiel im Unterschied zu dem der »Virtuosen» einen Transport gesellschaftlicher Intentionen intendiert; Liszt fasst es als »Sprache« auf. Den eigenen Anforderungen an expandierende Aneignungsfähigkeit und mediales Potenzial seines Instruments begegnet er, indem er die stete Weiterentwicklung seiner Klaviertechnik dem Ziel vollständiger Unabhängigkeit von technischen Problemen unterstellt. Anhand der Möglichkeiten, die das Instrument gemäß seiner Konstruktion bietet, und zu ihrer Ausschöpfung entwickelt Liszt ein systematisiertes Training, das sich bereits um 1832 hoch entwickelt zeigt. Es betrifft nicht nur Hand und Finger im Sinne von Geläufigkeit und Anschlagskultur, sondern auch das Gedächtnis als ›Speicherort‹. Erst die körpertechnisch gewonnene Unabhängigkeit als automatisierte Beherrschung des Instruments gibt den Raum für den Menschen wieder frei. So kann Heine für Liszts Spiel das so genannte »Höchste« in der Kunst als erfüllt gelten: »die selbstbewusste Freiheit des Geistes«.


Esther Schmitz-Gundlach, promovierte Musikwissenschaftlerin und derzeit Studierende eines M. A. Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft.


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