Eine Sammlung von Lisztiana im Refugium Liszt
In den frühen 1960er Jahren begann das Stadtbergener Ehepaar Dieter und Helga Muck mit einer Sammlung von Lisztiana; im wesentlichen Literatur, Noten und Tonträger, aber auch Bildwerke und Liszt-Devotionalien verschiedenster Provenienz. Das in über 60 Jahren der Auseinandersetzung mit Leben und Werk Franz Liszts aufgewachsene Konvolut stellt jedoch keineswegs nur die Ausbeute einer lebenslänglichen Jagdleidenschaft dar, die sich, eingezwängt in systematische Kategorien des Verschollenen, Seltenen, Exotischen oder Vollständigen, im Besitz begehrter Trophäen belohnt und erschöpft.
Das wäre im Fall Liszt ohne strenge Selbstbeschränkung auch kaum möglich. Sein riesiges Werk, noch dazu in vielfachen Überarbeitungen, seine unüberschaubar weitläufige, noch kaum überhaupt zusammengetragene Korrespondenz, eine schon zu Lebzeiten einsetzende, bis heute anhaltende und kaum erklärbare Menge an Biographien, die Massenproduktion von Fan-Artikeln und Devotionalien einer mit Liszt entstehenden paneuropäischen Pop-Industrie, der auch von Liszt befriedigte Symbolbedarf einer durch industrielle Massenmedien bestimmten Öffentlichkeit, bis endlich hin zu einem bis in die Gegenwart anschwellenden Strom von Liszt-Ton- und Bildaufnahmen usw. usf.: Vermutlich der perfekte Albtraum eines jeden Sammlers, ob aus Leidenschaft oder Profession.
Die Besonderheit der Muck’schen Sammlung besteht nicht in einem solchen aussichtslosen Unterfangen, nicht im Rekord, nicht im Spleen. Auch nicht nur in der in ihr abgespiegelten Auseinandersetzung mit Liszts Leben und Werk. Vielmehr bezieht die Sammlung Muck ihren besonderen Wert daraus, dass sie aus der Begegnung mit jenen Menschen – Musikern, Schriftstellern, Kritikern, Wissenschaftlern und Archivaren, Fans und Afiçionados – entstand, die sich mit Franz Liszts Wesen und Wirken intensiv auseinandergesetzt haben.
Dieter und Helga Muck haben viele solcher Menschen besucht, erlebt und persönlich gekannt. Nichts war auf diesem Felde zu bestellen ohne zu reisen, höchstselbst und analog; abgerungen der beruflichen Selbständigkeit, der Zeit mit der Familie, den organisatorischen und logistischen Herausforderungen und Hemmnissen, z. B. bei Reisen jenseits des ›Eisernen Vorhangs‹. Erkennbar wird diese Form der Begegnung an der Auswahl der Sammelstücke, an ihren Lebensspuren, ihren Herkunftszeichen, den eingelegten Eintrittskarten, Programmheften, Zeitungsartikeln und nicht zuletzt an vielen Widmungen und Korrespondenzfragmenten.
Selbst derart vernetzt, hatte das Wissen der Eheleute Muck um Liszts weit gespannte Vernetzung mit den künstlerischen, intellektuellen, religiösen und politischen Strömungen des europäischen 19. Jahrhunderts ebenfalls Einfluss auf die Sammlung. So enthält sie auch nennenswerte Apparate zu einflussreichen Exponenten des Jahrhunderts, Vorgängern und Zeitgenossen Liszts; nicht nur etwa Haydn, Beethoven, Schubert, Berlioz und Wagner sowieso oder Goethe, Hugo und Lamartine, sondern eben auch z. B. Hummel, Meyerbeer, Raff, Thalberg und Alkan pp., bis hin zu Nachfolgern und Fortentwicklern wie etwa Saint-Saëns, Busoni, Debussy, Schönberg u. a.
Nach dem Tode von Helga Muck im Juni 2024 konnte die Deutsche Liszt-Gesellschaft, dem Wunsch des Ehepaars gemäß, den größeren Teil Sammlung übernehmen und ihn im September 2024 in die Weimarer »Altenburg« überführen, Liszts ehemaligen Wohnsitz, deren Eigentümerin heute die Weimarer Wohnstätte GmbH ist. Im Seitengebäude der »Altenburg« ist die Sammlung nun Teil eines Museums der Weimarer Wohnstätte, dem »Refugium Liszt« – nämlich Liszts ehemaligen Arbeits- und Andachtsräumen –, über das die Ehrenpatronin in der Deutschen Liszt-Gesellschaft Nike Wagner im Mai 2025 die Schirmherrschaft übernommen hat.
Seither sind ein öffentlich/online zugänglicher Katalog der Sammlung und besonders eine (digitale) Dokumentation ihres Entstehungs- und Erwerbungszusammenhangs geplant und begonnen worden. Für letztere kann vor allem auf Erinnerungen und Gespräche mit Dieter Muck zurückgegriffen werden, die u. a. während Sichtung, Transport und Katalogisierung der Sammelstücke aufgezeichnet wurden und noch aufgezeichnet werden sollen. Selbstverständlich werden auch jene Hinweise ausgewertet, die die Stücke selbst – implizit und explizit – enthalten.
Seit März 2025 wird die Sammlung auf der Grundlage vieler Hundert erfasster Fotografien und Strichcodes katalogisiert. Der Umfang der Sammlung wird vorläufig (d. h. bis zum Abschluss der Katalogisierung) auf etwa 2.500 Einzelstücke unterschiedlicher Art geschätzt. Dazu gehören u. a.:
Drucksachen, Schriften |
Bücher, Taschenbücher Notendrucke Broschüren, Kataloge Plakate, Postkarten |
Tonmedien |
Schallplatten Vinyl (LP, MP, Single) Schallplatten Schellack CDs (Compact Disc Audio) Audio Tonbandkassetten (ACs) |
Filmmedien |
DVDs Video (Digital Versatile Discs) VHS-Cassetten (Video Home System Cassetten) |
Grafische Bildwerke |
Zeichnungen, Grafiken Stiche, Radierungen Photographien, Reprographien Gemälde |
Plastische Werke |
Abgüsse Büsten Medaillons, Reliefs Plaketten, Nadeln, Broschen |
Sonstige Objekte |
Musikalien, Spieluhren Souvenirs Geschirr, Besteck, Behälter Genusswaren |
Öffentlich zugänglich wird die Sammlung Muck – als Teil des »Refugiums Liszt« – nur nach Vereinbarung sein. Geplant sind regelmäßige monatliche Termine.
Katalog und Dokumentation zur Sammlung werden auf der Homepage der Deutschen Liszt-Gesellschaft veröffentlicht.
Stand Mai 2025