in der Weimarer »Altenburg«
Im Jahre 1811 (und also im Geburtsjahr Franz Liszts) ließ sich der Oberstallmeister am herzoglichen Hof Friedrich von Seebach an den Berghang oberhalb der Weimarer Ilm eine weithin völlig alleinstehende Stadtvilla errichten und lebte hier bis zu seinem Tod im Mai 1847. Seine Erben verkauften das Haus an Großherzogin Maria Pawlowna, die es 1848 der Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein als Wohnsitz für deren Weimarer Aufenthalt zur Verfügung stellte. Die Fürstin war mit dem europaweit berühmten Klaviervirtuosen Franz Liszt in ›wilder Ehe‹ verbunden. Liszt wohnte zunächst noch im Hotel »Zum Erbprinz« am Markt. Als die Scheidungsangelegenheiten der Fürstin sich unabsehbar in die Länge zogen, übersiedelte er 1850 in die ihm zugedachten Räume der »Altenburg«. Diese Räume lagen nicht im Haupthaus, sondern im rechtwinklig angrenzenden Seitengebäude, das eigentlich ein Funktionsgebäude war, mit Pferdestall, Kutschenstall und links und rechts davon Räumen auf zwei Etagen. Liszts Räume waren im rechten, an das Hauptgebäude angrenzenden Teil der ›Doppelgarage mit Einliegerwohnungen‹, wie man heute dazu sagen würde. Das bedeutete den großen Vorteil, sich wenn nötig vom Trubel des Haupthauses in ein stilles Refugium zurückziehen zu können.
Liszt hatte 1847 seine pianistische Weltkarriere beendet. Er war mit der Fürstin im Revolutionsjahr 1848 nach Weimar gekommen, um in Ruhe komponieren zu können. Dazu hatte er sich nach seiner letzten Konzertreise im Reisejahrzehnt 1837-1847 auf der Rückreise von Konstantinopel mit der Fürstin auf deren Landgut unweit von Kiew zusammengetan. Sie sah es geradezu als ihre Mission an, seinen Weg zu einem großen Komponisten à la Beethoven nach Kräften zu fördern. So berichtete es Liszt später seiner Enkelin.
In den großen repräsentativen Räumen des Haupthauses entfaltete die Fürstin das schwärmerische Fluidum eines aristokratischen Salons mit vielen namhaften Gästen aus vielen Ländern Europas. Hier kam Liszt auch mit seinem ›handverlesenen‹ Schülerkreis musizierend und debattierend zusammen. Für das kulturelle Europa nahm das Haus bald den Rang ein, den Jahrzehnte zuvor Goethes Haus am Frauenplan gehabt hatte.
Liszts Hauptarbeit allerdings ereignete sich im »Blauen Zimmer«, in seinem Refugium im Seitengebäude, dem eine kleine Hauskapelle vorgeschaltet war. Dort trafen sich die Fürstin, vom Speisezimmer in der Beletage des Haupthauses kommend, mit ihm zum Gebet – selbstverständlich für leidenschaftliche Katholiken, zumal in Weimar ohne eine ›anständige‹ eigene Kirche und dazu vom Weimarer Bürgertum verfemt. Oft setzte sich die Fürstin, wenn Liszt komponierte, im »Blauen Zimmer« mit Handarbeiten neben ihn, um ihn, der nach ihrer Meinung zu wenig »Sitzfleisch« hatte, bei seiner Hauptbeschäftigung festzuhalten.
Im »Blauen Zimmer« entstand zwischen 1850 und 1861 der Hauptteil des kompositorischen Œuvres Franz Liszts, als neue Werke bzw. als Überarbeitungen in die Endfassung. Es ist damit das absolute schöpferische Zentrum der »Altenburg«. Schräg über dem Pferdestall. Friedrich von Seebach hätte sich über diese Symbolik sehr gefreut.
Wolfram Huschke
Refugium Liszt, Blaues Zimmer. Foto: Weimarer Wohnstätte, Thomas Müller
Refugium Liszt, Gebetszimmer. Foto: Weimarer Wohnstätte, Thomas Müller
Refugium Liszt, Nebenraum Sammlung Dieter u. Helga Muck. Foto: Weimarer Wohnstätte, Thomas Müller
Stand Mai 2025