Der Ehrenpatron der Deutschen Liszt-Gesellschaft verstarb am 17. Juni 2025 in London

 

Erinnerungen an Alfred Brendel

von Wolfram Huschke

 

Alfred Brendel ist tot. Er war – und bleibt – der Ehrenpatron unserer Deutschen Liszt-Gesellschaft, von ihrem Anfang im Oktober 1990 an. Weil er kein großes Aufheben um sich machte, haben wir es auch nicht getan. Was in aller Bescheidenheit gewiss ein Fehler war. Wir sollten dies korrigieren, auch wenn er es nicht mehr erfährt. Er bleibt fest verankert in unserer Erinnerung, mit seinen Klangaufzeichnungen, seinen so klugen Musik-Essays, den widerborstig humorigen Gedichten, mit seiner Zuwendung. Welch grandiose Persönlichkeit! Welches Glück, dies auch persönlich erlebt haben zu dürfen. Tiefer Schmerz nun mischt sich mit ebensolch tiefer Dankbarkeit. Um das plausibler werden zu lassen, muss und will ich etwas persönlicher werden, als es vielleicht üblich ist.

Ich habe zwei wahrhaft große Menschen in meinem durchaus schon längeren Leben kennenlernen dürfen. Er war der erste von beiden. In der DDR lebend, waren nur wenige seiner Schallplatten zu bekommen. Irgendwann in den frühen 1980er Jahren erwischte ich irgendwo eine, mit Schuberts Impromptus. Und sie erwischte mich vollständig und irgendwie existentiell, das eigene Leben zum Hinterfragen zwingend. Wie konnte es das geben, von einer Musik-›Konserve‹ her? So wurde ich Brendelianer. Brahmsianer war ich längst, ein wenig Lisztianer auch inzwischen. Brendels Liszt-Artikel von 1961 kam mir irgendwie in die Finger, hatte Teil daran. Als dann Detlef Altenburg und ich 1990 die Deutsche Liszt-Gesellschaft (damals Franz-Liszt-Gesellschaft Weimar) als Versuch eines Zusammenschlusses zweier bundesdeutscher Liszt-Gesellschaften und unseres Weimarer Kulturbund-Arbeitskreises begründeten, war mir von Anfang an wichtig: Wir tun dies unter Brendelschem Patronat. Glücklicherweise hörte ich, dass er auf der Durchreise vom Leipziger Gewandhaus zu Konzerten im Ruhrgebiet am 15. und 16. Oktober 1990 in Weimar der Kultur wegen Halt machte, kurz vor unserer Gründungsversammlung am 21. Oktober 1990. 30 Jahre später beschrieb ich das so: »Ich hatte mir ein Herz gefasst, ihn im ›Hotel Elephant‹ aufgesucht und ihm von der beabsichtigten neuen Gesellschaft und ihren Aufgaben berichtet. Er war auf Anfrage hin sofort bereit, seinen Namen in die Waagschale zu werfen. Die Gründungsversammlung nicht einmal eine Woche später war beglückt und dankbar. Durch ihn hatte die Gründung eine weihevolle Überhöhung von Rang erhalten. Wir konnten und können zufrieden sein.« Die Broschüre »Vorbild Liszt« zum 30. Geburtstag der Gesellschaft, in der dieser Passus steht, beginnt mit Alfred Brendels Grußwort. Konkreter mit den Worten: »Der Name und das Werk Franz Liszts standen für mich immer für etwas europäisches – für eine Vielzahl musikalischer Einflüsse ebenso wie für den Verzicht auf Heimat und Vaterland in jedem beengend-politischen Sinn.« Und es endet – vor Dank und Glückwunsch – mit dem typisch Brendelschen Satz »Die musikalische Größe des Schöpfers der h-Moll-Sonate sei dabei keineswegs vergessen.«

Zwischen 1990 und jener Broschüre von 2020 gab es wenige, aber umso beglückendere leibhaftige Begegnungen. Die umfangreichsten verbanden sich mit zwei Ehrungen. Zunächst mit seiner Ernennung zum Ehrendoktor unserer Weimarer Hochschule Franz Liszt im Juni 2009. Wo er mit Maria Majno ein paar Tage länger in Weimar blieb, auch, um in Weimar den Liszt-Bestand im Goethe- und Schiller-Archiv zu würdigen und in Altenburg das Lindenau-Museum sowie in Eisenach das neue Bach-Museum kennenzulernen (und gegenüber die Wiener Desserts im Café Brüheim, die seitdem bei uns »Brendel-Törtchen« heißen). Und dann, quasi als Brendelscher ›Weimar-Höhepunkt‹ in der Nähe seines 80. Geburtstages, die Eröffnung des Thüringer Themenjahres zum 200. Geburtstag Liszts »Franz Liszt. Ein Europäer in Thüringen« am 16. Februar 2011 im historischen Weimarer Hochschulsaal. Als Erster erhielt er am Vormittag den als Lebenswerk-Auszeichnung neugestifteten Franz Liszt Ehrenpreis Weimar-Bayreuth. Die Begründung dazu auf der Urkunde: 

»Wie kein anderer hat Alfred Brendel | im vergangenen halben Jahrhundert / mit der Kraft der Musik und der Kraft des Wortes | eine Ehrenrettung für das Werk Franz Liszts | im Sinne seines Appells von 1961 europaweit bewirkt | und damit dessen generelle Neubewertung | öffentlichkeitswirksam durchgesetzt.« 

Michael Krüger hielt zuvor eine fulminante Laudatio. Und Brendel selbst am Abend die ebenso geartete Festrede im Eröffnungskonzert der Staatskapelle Weimar in der Weimarhalle unter dem Titel »Wann schläft dieser Mensch?« Dann noch Lectures am 18. und 19. Februar und eine Matinee am 20., bevor wir ihn nach Leipzig zum Flughafen brachten. Wieder war Frau Majno dabei. Es war schön, beiden zu begegnen. 

Nun hat sie ein eindrucksstarkes, von ihm selbst ausgewähltes Foto ins Internet gestellt, verbunden mit dem für beide zutiefst adäquaten Text: »Liebe Freunde, mit Trauer und tiefer Betroffenheit schreiben wir Ihnen, dass Alfred Brendel heute Morgen friedlich zu Hause in London gestorben ist. Er war bis zum Schluss er selbst: bewusst, gelassen und dankbar. Dieses Bild wurde von ihm ausgewählt, um Ihnen allen seine Zuneigung und Dankbarkeit zu vermitteln. Herzlich, Maria Majno mit der ganzen Familie Brendel«.

Ja, wir müssen einsehen, Alfred Brendel ist gestorben. Aber wir hatten das Glück, ihm, seinem Klavierspiel und seinem Reden an einigen Punkten unseres Lebens auch persönlich zu begegnen, großen Momenten, durch ihn. Von Herzen Dank, lieber Alfred Brendel. Du bleibst in unserer Erinnerung. Und in der sehr sehr vieler Menschen weltweit.

 

Alfred Brendel Farewell   Copyright S. Bottesi

 Alfred Brendel: Farewell
© S. Bottesi 

 


 

17. Juni 2025