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von Detlef Altenburg

 

Zur Eröffnung des internationalen Kongresses Der ganze Liszt – Liszt-Interpretationen heiße ich Sie alle, auch im Namen des Instituts für Musikwissenschaft Weimar–Jena, ganz herzlich willkommen. Mein besonderer Gruß gilt all den Kolleginnen und Kollegen, die von weither angereist sind, insbesondere den Gästen aus Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada, Österreich, Russland, Ungarn und den USA. Als Gäste haben sich nicht nur die Mitglieder der International Liszt Association, sondern auch Interessenten aus ganz Deutschland, den Niederlanden, Schweden und Ungarn angemeldet. Ihnen allen, den Teilnehmern des Kongresses, den Freunden Liszts und unserer Hochschule sowie den Gästen des heutigen Abends gilt mein herzliches Willkommen. Ich wünsche den Teilnehmern unseres Kongresses eine angenehme Zeit in dieser wundervollen Stadt, in der nicht nur der Geist Goethes, Schillers, Herders und all der anderen großen Dichter weht, sondern in der auch Schein, Bach, Hummel, Liszt und Strauss gewirkt haben, um nur die wichtigsten unter den Weimarer Komponisten zu erwähnen.


Internationale Kongresse sind nur mit der finanziellen Unterstützung Vieler durchführbar. Es ist mir ein Anliegen, an dieser Stelle den Förderern dieses Kongresses meinen herzlichen Dank auszusprechen. An erster Stelle ist hier der Freistaat Thüringen zu nennen, der im Rahmen der Bereitstellung der Mittel für das Themenjahr auch den Lisztkongress berücksichtigt hat. Zweitens gilt mein Dank der Hochschule für Musik Franz Liszt, ohne deren großzügiges finanzielles und organisatorisches Engagement dieser Kongress nicht möglich gewesen wäre. Auf dieser soliden Grundlage hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihrerseits ihre Förderung gewährt, um insbesondere die Internationalität des Kongresses zu sichern. Für die Lösung noch offener Finanzierungsprobleme stand uns die Sparkasse Mittelthüringen helfend zur Seite. Dafür möchte ich Ihnen, sehr geehrter Herr Bauhaus, meinen herzlichen Dank aussprechen. Und nicht zuletzt bewährt sich bei diesem Kongress einmal mehr die schöne Zusammenarbeit zwischen der Hochschule und der Stadt Weimar. Ihnen, Herr Oberbürgermeister Wolf, bin ich dankbar dafür, dass Sie uns in diesen Tagen in dem wunderschönen Rathaussaal unserer Stadt Gastrecht gewähren.


Meinen Dank möchte ich nicht beschließen, ohne diejenigen zu erwähnen, die den Kongress organisatorisch und konzeptionell vorbereitet haben. Die Vorarbeiten wurden schon vor drei Jahren von Katharina Steinbeck M.A. geleistet. Die komplette organisatorische Vorplanung einschließlich des Antrags bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft geht auf Josephin Wietschel M.A. zurück, deren Arbeit dann Steffen Vogel M.A. und PD Dr. Axel Schröter weiterführten. Ihnen allen sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Die gesamte Detailplanung lag seit Juni in den Händen von Steffen Vogel, der die Hauptlast der Organisation getragen hat und der erleichtert sein wird, seinen E-Mail-Verkehr ab heute nicht mehr bis in die frühen Morgenstunden ausdehnen zu müssen. Axel Schröter hat nicht nur das Programmbuch erstellt, sondern hat auch zeitweilig die Korrespondenz mit Ihnen geführt. Danken möchte ich nicht zuletzt dem ganzen Organisationsteam und den Mitarbeitern der Verwaltung unserer Hochschule, die mit enormem Engagement zur Vorbereitung dieses Kongresses beigetragen haben.

Detlef Altenburg 2011 Foto A BurzikDer ganze Liszt – Liszt-Interpretationen, meine Damen und Herren, das Motto unseres Kongresses, ist nur mit einem Augenzwinkern so vollmundig gemeint, wie es auf den ersten Blick erscheint. Ganz bewusst wollen wir nach den Weimarer Symposien zu einzelnen Aspekten des Lisztschen Schaffens und Wirkens – also etwa zum Thema Liszt und die Klassik, Liszt und die Neudeutsche Schule, Liszt und Europa, Liszt und Schubert sowie Liszt und die Moderne – in einem holistischen Zugriff Liszts Œuvre und Rezeption in all ihren – zum Teil auch widersprüchlichen – Aspekten in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen stellen. Wir werden uns in den kommenden drei Tagen in jeweils zumeist zwei Referaten aus unterschiedlicher Perspektive mit dem Phänomen auseinandersetzen, dass wir aus den nationalen Traditionen der verschiedenen Wissenschaftskulturen heraus und mit ihren divergierenden Methoden Liszt sehr unterschiedlich verstehen und interpretieren. Die Ergebnisse unserer Interpretation sind nicht nur aufgrund der nationalen Wissenschaftskulturen sehr unterschiedlich, die Wahrnehmung Liszts hat sich auch im Laufe der Geschichte entscheidend verändert. Zudem sind die Perspektiven aus der Sicht der künstlerischen Praxis durchaus andere als die der Musikwissenschaft. Gerade der Dialog zwischen künstlerischer Praxis und Wissenschaft, der einen Schwerpunkt an unserer Hochschule bildet, kann ein wichtiges Korrektiv der wissenschaftlichen Interpretation sein. All dies haben wir versucht, in die Planung unseres Kongresses einfließen zu lassen.

 

Das kulturelle Gedächtnis erhielt in der Kulturgeschichte Europas seine entscheidenden Impulse traditionell von seinen Jubiläumsfeiern, von seinen Dichterjubiläen und Musikergedenkjahren. Mit diesen Hand in Hand ging im 19. Jahrhundert die Entwicklung des Denkmälerwesens. Schon mit dem Mozartdenkmal im Tiefurter Ilmpark war Weimar 1799 seiner Zeit voraus. Eine Art Kulmination ist in Weimar um 1850 zu beobachten, das mit Recht als einer der Kristallisationspunkte in der Entwicklung des Denkmälerwesens gelten kann. Herders 100. Geburtstag 1844 löste den Aufruf zur Sammlung für ein Herderdenkmal aus, das 1850 in Weimar im Rahmen großangelegter Feiern enthüllt wurde und hier bis heute an die Herderverehrung des 19. Jahrhunderts erinnert. Die Vorbereitungen auf Goethes 100. Geburtstag 1849 waren Auslöser für die ersten großen Pläne zur Gründung einer Goethe-Stiftung und zugleich für den Aufruf zu einem Goethedenkmal, dessen Ergebnis dann schließlich das Goethe-Schiller-Denkmal war, das noch heute den Weimarer Theaterplatz prägt. Das Pendant dieses Denkmälerwesens bildeten im 19. Jahrhundert die großen Monumentalaufgaben der Musikereditionen. Bachs 100. Todestag 1850 war Ausgangspunkt für die Initiative zur Gründung einer Bach-Gesellschaft und zur Ausgabe der Werke des Komponisten. Die Reihe ließe sich weiter fortführen.


Einer derjenigen, die in all diese Aktivitäten der Gedächtniskultur des 19. Jahrhunderts nicht nur involviert waren, sondern zum Teil sogar zu den entscheidenden Protagonisten zählten, war Franz Liszt. Er richtete nach seinem Engagement für das Bonner Beethovendenkmal und das Bonner Beethovenfest 1845 nicht nur die Festkonzerte zur Goethezentenarfeier 1849 und anlässlich der Enthüllung des Herderdenkmals 1850 aus, sondern er zählte auch zu den Gründungsmitgliedern der Bach-Gesellschaft und den Vätern der Bach-Gesamtausgabe. Für Weimar legte er 1849 ein Memorandum, bald auch in Buchform ein höchst bemerkenswertes Konzept zur Gründung einer Goethe-Stiftung vor, die im jährlichen Wechsel große Kunstfeste mit Schwerpunkten Literatur, Malerei, Skulptur und Musik vorsah. Viele Probleme, die Weimar traditionell mit der Verwaltung seines kulturellen Erbes hat, und vor allem mit der Gefahr, zu einem Ort der musealen Nachlassverwaltung zu werden, wären wahrscheinlich gelöst, wenn Liszts Idee einer Goethe-Stiftung verwirklicht worden wäre. 1857 krönte Liszt schließlich anlässlich der Enthüllung des Goetheund Schiller-Denkmals die Reihe seiner großen Weimarer Festkonzerte mit der Uraufführung seiner Symphonischen Dichtung Die Ideale und seiner Faust-Symphonie.


Es ist nur zu folgerichtig, dass Liszt postum selbst seinen Platz in dieser Jubiläumskultur erhielt, in die er in Weimar so intensiv involviert war. Im Vorfeld seines 100. Geburtstages wurde die Carl-Alexander-Ausgabe inauguriert, deren erster Band 1907 erschien. Die Ausgabe, die u. a. von namhaften Schülern Liszts herausgegeben wurde, wurde indes nie zum Abschluss gebracht, sondern stellte nach 34 Bänden 1936 ihr Erscheinen ein. Zeitgleich erblickten die ersten Dissertationen zu Liszts Werken das Licht der Welt, darunter Peter Raabes Arbeit über die Entstehung von Liszts Symphonischen Dichtungen. Zum Jubiläumsjahr 1936 ehrte die Ungarische Akademie der Wissenschaften Liszt mit einer wissenschaftlichen Konferenz, die von keinem Geringeren als Béla Bartók eröffnet wurde. Und zum 150. Geburtstag 1961 machte sich Budapest mit der zweiten internationalen Konferenz Liszt-Bartók um den wissenschaftlichen Austausch zum Schaffen des Komponisten verdient. Zugleich war der 150. Geburtstag Katalysator für das Projekt der Fortsetzung der 1936 unter nicht ganz geklärten Umständen eingestellten Gesamtausgabe. Auf höchster Ebene wurden Vereinbarungen zwischen der Ungarischen Volksrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik getroffen. Das Ergebnis war nach langem Hin und Her schließlich die bei Editio Musica und dem Bärenreiter-Verlag erschienene Neue Liszt-Ausgabe, deren Profil allerdings bei ihrem Start 1970 eher von verlegerischer Vorsicht und einer am Kompromiss orientierten Editionspolitik geprägt war. Entscheidend für diesen Fehlstart war zweifellos die damals weit verbreitete Verkennung der philologischen Herausforderungen, vor die eine wissenschaftlich fundierte Ausgabe der Werke Liszts den Editor stellt. Der Versuch, ausgerechnet bei Liszt die Interessen einer wissenschaftlichen Ausgabe mit den Interessen einer Ausgabe für die Praxis zu koppeln, d. h. auch in der eigentlichen Gesamtausgabe den kritischen Bericht auf ein Minimum zu beschränken, war symptomatisch für die damals allgemein verbreitete Unterschätzung des Komponisten Liszt. Angesichts der ungewöhnlich komplizierten Fassungsprobleme bei Liszt waren die ursprünglichen Vorgaben aus heutiger Sicht höchst unglücklich. Erst nach etlichen Bänden erfolgte eine moderate Kurskorrektur, bis sich die Herausgeber endlich mit einem sachgerechten Konzept durchsetzten und der Ausgabe internationale Anerkennung verschafften.